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Der Aquarianer, Homo aquaristicus

Ein Erfahrungsbericht über die Pflege und Vermehrung


Von einer unbekannten Aquarianergattin.

Dem Homo aquaristicus sagt man im allgemeinen nach, er sei eine ganz besondere Spezies. Gemeinhin wird er auch auf gut Deutsch als "der Aquarianer" bezeichnet, aber auch andere lokal unterschiedliche Bezeichnungen wie "Wasserpantscher", " Heringsbändiger" oder "Schuppenfreund " sind durchaus geläufig.

Roßmäßler Die Entwicklungsgeschichte des Homo aquaristicus liegt noch weitgehend im Dunkeln. Während seine Ursprünge unbestritten bis ins alte China um das Jahr 1000 zurückreichen, wurde er in Europa wahrscheinlich erst Mitte des vorigen Jahrhunderts entdeckt. Zumindest seine Erstbeschreibung datiert aus dem Jahre 1856. Zu jener Zeit publizierte der deutsche Naturforscher Emil Adolf Roßmäßler in der deutschen Familienzeitschrift "Die Gartenlaube" den wegweisenden Aufsatz "Der See im Glase", der als Erstbeschreibung angesehen werden kann. Aus diesen Gründen müßten wir den Aquarianer wissenschaftlich korrekt als Homo aquaristicus, ROßMÄßLER 1856, bezeichnen.

Waren zu Roßmäßlers Zeiten Aquarianer nur selten aufzuspüren - ihre Fundorte beschränkten sich zunächst auf die Umgebung von Gotha - so hat sich diese Art jedoch in den letzten Jahren enorm vermehrt und offensichtlich auch über die ganze Welt ausgebreitet, ja, es soll sie sogar in Bayern geben.

Die Tatsache ihrer starken Vermehrung hat zur Folge, daß sich diese Art weiter aufgespalten hat, und wir kennen heute folgende Unterarten: den Homo aquaristicus fanaticus, den Homo aquaristicus mercator und den Homo aquaristicus fachidiodicus.

Mitunter sind diese Unterarten äußerlich nur sehr schwach zu unterscheiden. Zur besseren Einordnung sollte man sich daher folgende Charakteristika einprägen:

Da wir heute öfter denn je mit Aquarianern der eben dargestellten Prägungen konfrontiert werden, ihnen aber oft hilflos gegenüberstehen, weil wir nicht ausreichend mit ihren Ansprüchen an Haltung und Pflege vertraut sind, möchte ich mit diesen Aufsatz einen Beitrag dazu leisten, ein wenig Licht in das Dunkel um den Homo aquaristicus zu bringen.

Mein Erfahrungsbericht stützt sich auf einen Beobachtungszeitraum von nunmehr 27 Jahren, in dem ich ein Exemplar dieser Art gepflegt habe. 1969 wurde ich erstmals mit dieser Spezies näher bekannt. Sie begann mich dann so stark zu interessieren, daß ich mich noch im gleichen Jahr nach reiflicher Überlegung dazu durchgerungen habe, mir ein Exemplar zuzulegen. Später stellte sich heraus, daß es sich um die Unterart "fanaticus" handelte.

Mangels genauerer Kenntnisse über diese Art hatte ich meine Neuerwerbung zunächst in der Wohnung untergebracht. Es sei vorweg bemerkt, daß das ein grundlegender Fehler war, denn die artgerechte Pflege des H. aquaristicus fanaticus muss unbedingt im Keller erfolgen. In einer Wohnung fühlt er sich beengt und sein Drang, Wasserbehälter aller Art unentwegt zu vermehren, wächst sich zu einer echten Belästigung der Familie aus. Darüber hinaus ist seine ausgeprägte Wasserpanscherei wenig zuträglich für Teppichböden, Parkett, Möbel und andere Einrichtungsgegenstände. Als sich schließlich noch das Wasser aus einem defekten Wasserbehälter langsam aber sicher seinen Weg durch drei Wohnungen in den Keller suchte, war für mich die Erkenntnis sonnenklar: ein gesonderter Raum im Keller muß her !

Kam es früher zu aggressiven Verhalten bis zur Verweigerung der Nahrungsaufnahme, weil ich den Ausdehnungsdrang oft mit Macht Einhalt gebieten mußte (selbst im Badezimmer waren Wasserbehälter aufgestellt !), so legte sich diese Aggressivität sehr bald, nachdem mein Homo aquaristicus in den Keller umgesiedelt wurde.

Sein Ausbreitungstrieb bleibt jedoch nach wie vor eines der Hauptprobleme. Hier hilft nur eine starke Hand und sofortige Beschneidung des Wildwuchses. Sobald der H. aquaristicus sein zugewiesenes Biotop verläßt und versucht, klammheimlich weitere Räumlichkeiten in Beschlag zu nehmen, muß sofort gehandelt werden, denn sonst macht er vor nichts mehr Halt.

Ein Exempel statuiert man am Besten mit unverzüglicher Entfernung aller seiner außerhalb des Biotops aufgestellten Gegenstände. Diese Maßnahme kann man dann noch durch Übergehen der nächsten Fütterungstermines den nötigen Nachdruck verleihen. Das klingt zwar alles ziemlich drastisch, verfehlt aber nie seinen Erziehungszweck. Der Aquarianer begreift nämlich auf diese Weise sehr schnell, daß ihm hier notwendige Grenzen gesetzt werden und die akzeptiert er dann auch nach einiger Zeit, wenn auch mit anfänglichem Murren.

Eine weitere Voraussetzung für die erfolgreiche Haltung des Homo aquaristicus ist, ihm die notwendige Ruhe zu gewähren. Wird er in Ruhe gelassen, dann entfaltet er sehr bald jenes muntere Treiben, das wir an ihn so lieben. Er entleert, zumindest teilweise, durchsichtige Wasserbehälter und gießt sie wieder mit Wasser auf, das er in vielen schweren Kanistern von irgentwelchen geheimnissvollen Bächen und Quellen herbeigeschleppt hat. Er fängt Fliegen und Schaben, gräbt nach Regenwürmern und ähnlichen Getier und durchstöbert alle Wasseransammlungen der näheren und weiteren Umgebung nach Wasserflöhen und Insektenlarven. Damit leistet er einen wertvollen Beitrag zur Ungezieferbekämpfung.

Können wir ihm im Allgemeinen bei dieser Betätigung freien Lauf lassen, so müssen wir aber unbedingt darauf achten, daß nicht unser Kühlschrank mit seiner Beute in Form von Würmern und Larven belegt wird. Gerne füllt er auch Gefriertruhen mit einem Wintervorrat. Hier sind Kompromisse zu finden, insbesondere ist dieser Wintervorrat gut zu kennzeichen, damit nicht, wie bereits geschehen, anstatt Petersilie Wasserflöhe in der Suppe schwimmen.

Im allgemeinen lebt der Homo aquaristicus zurückgezogen, er verläßt den Keller selten. Das soll aber nicht heißen, daß er gleichartige Gesellschaft verachtet. In regelmäßigen Abständen bringen wir Homo aquaristicus - Pflegerinnen der Umgebung (man kennt sich ja schließlich) unsere Pfleglinge zusammen, und das tut ihnen offensichtlich gut. Sie scharen sich sofort um die gläsernen Wasserbehälter und bedienen sich dabei einer Sprache, deren Übersetzung nicht immer auf Anhieb gelingt. Danach wird Wasser in Plastikbeutel abgefüllt, der Inhalt im Gegenlicht ausgiebig begutachtet und dann schließlich mitgenommen. Es ist uns allen eine Freude zu beobachten, wie unsere Lieblinge bei solchen Gelegenheiten aufblühen !

Meinen bescheidenen Beitrag möchte ich schließen mit einigen Tips zur Vermehrung des Homo aquaristicus. Sie gelingt nicht immer auf Anhieb, jedoch hat sich folgendes Zuchtrezept bewährt:

Wir bringen den H. aquaristicus mit einem normalen Menschen zusammen, geben einige Flaschen Bier dazu und lassen dann den Dingen ihren freien Lauf. Ist unser H. aquaristicus in guter Verfassung, dann wird er bald anfangen zu balzen. Die Balz beginnt damit, daß er seine vielen Wasserbehälter vorführt und zunächst ruhig, dann aber mit steigender Begeisterung deren Inhalt erklärt.

Danach leitet er eine weitere Phase ein: er zeigt Fotos und Bücher. Ernst wird es aber erst, wenn er einen ausgedienten Wasserbehälter hervorkramt. Die Befruchtung ist schließlch vollzogen, wenn der ehemals normale Mitbürger mit eben diesen ausrangierten Wasserbehälter und einigen wassergefüllten Plastikbeuteln von dannen zieht.

In diesen erhebenden Augenblick ist ein neuer Aquarianer geboren und dieser wird dann auf seine Weise wiederum für den Fortbestand dieser Art sorgen.


Autorin in der Aquar. Gemeinschaft Rodenbach e.V.